Das dialektische Verfahren.




Unter Dialektik versteht der normal Gebildete den berühmten Hegel'schen Dreischritt aus These-Antithese-Synthese, und dieser sei das Grundgesetz nicht nur unseres Denkens, sondern der Dinge selber: Das reale Sein ist die Epiphanie der Selbstbewegung des Begriffs.

Doch ist das dialektische Verfahren von Fichte in das neuzeitliche Denken eingeführt worden, selbstverständ- lich nicht als Selbstbewegung der Begriffe, sondern als kritische Darstellung des Verfahrens, wie die wirklichen Menschen bei ihrem wirklichen Vorstellen voranschreiten - wobei die Begriffe eine nützliche, aber bescheidene Rolle spielen. 

Mit andern Worten: In ihrer Originalfassung ist die Dialektik ein Instrument in der Hand eines kritischen Kopfes und kein Mittel obskurantistischer Mystifikation. Fichte war ein Denker des romantischen Sturms und nicht der biedermeierlichen Restauration.

Der Unterschied springt ins Auge: Während bei Hegel These und Antithese in der Synthesis wahrhaftig vereinigt werden und das KlickKlack selbstbewegt weiterläuft, werden in der Fichte'schen Vorstellungsarbeit zwar die Pole einander immer näher gerückt, aber ihr Gegensatz wird dabei nicht geringer; die Synthesis wird auf ewig eine Aufgabe bleiben.





Den Anfang muss man suchen.

Soll die nothwendige Handlungsart der Intelligenz an sich in die Form des Bewusstseyns aufgenommen werden, so müsste sie schon als solche bekannt seyn, sie müsste mithin in diese Form schon aufgenommen seyn; und wir wären in einem Cirkel eingeschlossen.

Diese Handlungsart überhaupt, soll nach dem obigen durch eine reflectirende Abstraction von allem, was nicht sie ist, abgesondert werden. Diese Abstraction geschieht durch Freiheit, und die philosophirende Urtheilskraft wird in ihr gar nicht durch blinden Zwang geleitet. Die ganze Schwierigkeit ist also in der Frage enthalten: nach welchen Regeln verfährt die Freiheit in jener Absonderung? wie weiss der Philosoph, was er / als nothwendige Handlungsweise der Intelligenz aufnehmen und was er als ein zufälliges liegen lassen solle?

Das kann er nun schlechterdings nicht wissen, wofern nicht etwa dasjenige, was er erst zum Bewusstseyn erheben soll, schon dazu erhoben ist; welches sich widerspricht. Also giebt es für dieses Geschäft gar keine Regel, und kann keine geben. Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tage über. Er wird Anfangs durch dunkle Gefühle* (deren Ursprung und Wirklichkeit die Wissenschaftslehre darzulegen hat) geleitet; und wir hätten noch heute keinen deutlichen Begriff, und wären noch immer der Erdkloss, der sich dem Boden entwand, wenn wir nicht angefangen hätten, dunkel zu fühlen, was wir erst später deutlich erkannten. 

*) Es erhellet daraus, dass der Philosoph der dunklen Gefühle des Richtigen oder des Genie in keinem geringeren Grade bedürfe, als etwa der Dichter oder der Künstler; nur in einer anderen Art. Der letztere bedarf des Schönheits-, jener des Wahrheits-Sinnes; dergleichen es allerdings giebt. [Anmerkung zur 1. Ausgabe.]
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 72f.  



 




Der Anfang ist eine Aufgabe, die nie bewältigt sein wird.oresundbron


...nämlich bei aller Bemühung können wir die Untersuchung über die Hauptsynthesis niemals erschöpfen; wir können sonach nimmermehr das Bestimmte und Bestimmende als eins anschauen, weil beides in der Synthesis auseinander liegt. Beides als eins zu denken ist bloße Aufgabe. Dieses Bestimmen und Bestimmtsein ist in der Hauptsynthesis eins, diese aber können wir nicht fassen. 

Die Philosophie hebt notwendig an mit einem Unbegreiflichen, mit der ursprünglichen Synthesis der Einbil- dungskraft, ebenso mit einem Unanschaubaren, mit der ursprünglichen Synthesis des Denkens, dieser Akt ist nicht zu denken noch anzuschauen. Es lässt sich auch also noch bloß als Aufgabe aufstellen, alles Übrige ist erreichbar, da es in der Erfahrung vollzogen wird.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 217




Setzen ist entgegensetzen.

 
Ich sagte dir: jetzt denke dich, und bemerke, dass dieses Denken ein Thun ist. Du musstest, um das verlangte zu vollziehen, dich losreissen von jener Ruhe der Contemplation, von jener Bestimmtheit deines Denkens, und dasselbe anders bestimmen; und nur inwiefern du dieses Losreissen und dieses Abändern der Bestimmtheit bemerktest, bemerktest du dich als thätig. Ich berufe mich hier lediglich auf deine eigene innere Anschauung; von aussen dir anzudemonstriren, was nur in dir selbst seyn kann, vermag ich nicht.

Das Resultat der gemachten Bemerkung wäre dieses: man / findet sich thätig, nur inwiefern man dieser Thätigkeit eine Ruhe (ein Anhallen und Fixirtseyn der inneren Kraft) entgegensetzt. (Der Satz, welches wir hier nur im Vorbeigehen erinnern, ist auch umgekehrt wahr: man wird sich einer Ruhe nicht bewusst, ohne eine Thätigkeit zu setzen. Thätigkeit ist nichts ohne Ruhe und umgekehrt. Ja, der Satz ist allgemein wahr, und wird im folgenden in dieser seiner allgemeinen Gültigkeit aufgestellt werden: Alle Bestimmung, was es nur sey, das bestimmt werde, geschieht durch Gegensatz. Hier sehen wir für auf den vorliegenden einzelnen Fall.)

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Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW I, S. 531f.






Bestimmung durch Gegensatz. 
Lothar Sauer

Ja, der Satz ist allgemein wahr, und wird im folgenden in dieser seiner allgemeinen Gültigkeit aufgestellt werden: Alle Bestimmung, was es nur sey, das bestimmt werde, geschieht durch Gegensatz.
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Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW I, S. 531




Bestimmen heißt in Relation setzen.
romelia  / pixelio.de

Bestimmtes oder bestimmbares ist Totalität, nachdem man es nun nimmt. – Zwar scheint in diesem Resultate nichts neues, sondern gerade das, was wir / vor der Synthesis vorher auch wussten, gesagt zu seyn; aber vorher hatten wir doch Hoffnung, irgend einen Bestimmungsgrund zu finden. Durch das gegenwärtige Resultat aber wird diese Hoffnung völlig abgeschnitten; seine Bedeutung ist negativ, und es sagt uns: es ist überhaupt gar kein Bestimmungsgrund möglich, als durch Relation.

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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 197





Totalität besteht bloß als vollständige Relation.
Ulrich Velten  / pixelio.de

Also – und das war der oben aufgestellte synthetische Satz – die Totalität besteht bloss in der vollständigen / Relation, und es giebt überhaupt nichts an sich festes, was dieselbe bestimme. Die Totalität besteht in der Vollständigkeit eines Verhältnisses, nicht aber einer Realität. Die Glieder des Verhältnisses, einzeln betrachtet, sind die Accidenzen, ihre Totalität ist Substanz, wie schon oben gesagt worden.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 203f
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Begriffe, Vorstellungen, Dialektik.



Natürlich drückt sich auch der 'Wissenschaftslehrer' in Begriffen aus – in die er seine Vorstellungen fassen musste, um sie sich klar machen und behalten zu können. Aber Gegenstand seines Denkens sind nicht sie, son-dern die Vorstellungen, aus denen sie abgezogen wurden. Und Vorstellungen schlagen nicht ineinander um noch tun sie selber überhaupt etwas. Sondern der, der vorstellt, muss seiner Vorstellung, um sie als diese zu bestimmen, eine andere entgegensetzen. Denn nichts anderes ist das Denken, als eine fortschreitende Bestimmung der Einbildungskraft. 

Nur der daneben stehende Beobachter kann das als eine Selbstbewegung des Begriffs auffassen - weil er nicht sich von dem unterscheidet, was er beobachtet. Die dogmatische Hegel'sche Version der Dialektik beruht dar-auf, dass sie sich über ihren Ausgangspunkt nicht klar, d. h. mit andern Worten: dass sie undialektisch ist. 







Ein dynamischer Umzug.

Dosso Dossi, Il trionfo di Bacco

Jene Tätigkeit der Reflexion als solche, durch welche die Intelligenz sich selbst setzt, wird, wenn sie angeschaut wird, angeschaut als eine sich bestimmende Agilität, und diese wird angeschaut als ein Übergehen aus dem Zu-stande der Ruhe und Unbestimmtheit, die jedoch bestimmbar ist, zu dem der Bestimmtheit. 

Diese Bestimmbarkeit erscheint hier als das Vermögen, Ich oder NichIch zu denken, und es werden sonach in dem Begriffe der erstern die beiden letztern Begriffe notwendig mitgedacht und einander gegenüber gesetzt. Beide Begriffe erscheinen sonach bei Erregung der selbsttätigen Reflexion als etwas unabhängig von derselben Vorhandenes, und der Charakter des NichtIch ist das Sein, eine Negation.

[Dieser Abschnitt trägt in der Nachschrift Krauses den Vermerk: Diktiert 1798]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982,  S. 43


Nota. – 'Der erstere': die Bestimmbarkeit; 'die beiden letzteren': Ich und NichtIch. – Ruhe, Bestimmbarkeit, Agilität, Intelligenz, Erregung, Übergehen: Es sind, was Fichte im Vortrag als Begriffe verwendet, im Denken der Vortragenden doch Anschauungen; nicht feste Größen, sondern dynamische Bilder, die selber stets 'im Übergang' vorgestellt werden und die Spuren ihres vorigen Zustandes noch ebenso mit sich führen wie schon die Vorschau auf den nächsten. "Nur aus dem Zusammenhang" könne man seine Sätze verstehen, sagt Fichte immer und immer wieder. Als Begriffssystem lässt sich die Wissenschaftslehre schlechterdings nicht rekonstru-ieren, sie ist ja selber ein ständiges Übergehen, und mein Versuch einer Darstellung durch kommentierte 'Stel-len' ist sachlich nur ein kleines bisschen besser – aber immerhin didaktischer (zu allererst für mich selbst). Ich überlege jedoch, ob ich nicht mehr daraus machen kann.
JE





 
Begriff ist das ruhende Bild einer Tätigkeit.  
Albrecht E. Arnold, pixelio.de

Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff. ... Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst. ...

Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusst- seyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung / vor der Anschauung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst. 
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Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,[1797] SW I, S. 533f.





Reflektieren und abstrahieren. 
Nicolas Stey, pixelio.de

Diese zweite Handlung der Freiheit, durch welche die Form (überhaupt, Marg.) zu ihrem eigenen Gehalte* wird, und in sich selbst zurückkehrt, heisst Reflexion. Keine Abstraction ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraction möglich. Beide Handlungen, von einander abgesondert gedacht, und jede für sich betrachtet, sind Handlungen der Freiheit; wenn in eben dieser Absonderung beide aufeinander bezogen werden, so ist unter Bedingung der einen, die zweite noth/wendig; für das synthetische Denken aber sind beide nur eine und ebendieselbe Handlung, angesehen von zwei Seiten. 
*) zur Form der Form, als ihres Gehaltes - 1. Ausgabe
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 67f.

 

Die Reflexion aber beginnt analytisch. 
birgitH, pixelio.de

Soll sich aber etwas aus ihr entwickeln lassen, so müssen in den durch sie vereinigten Begriffen noch andere enthalten liegen, die bis jetzt nicht aufgestellt sind; und unsere Aufgabe ist die, sie zu finden. Dabei verfahrt man nun auf folgende Art. – Nach § 3. entstehen alle synthetische Begriffe durch Vereinigung entgegen- gesetzter. Man müsste demnach zuvörderst solche entgegengesetzte Merkmale der aufgestellten Begriffe (hier des Ich und des Nicht-Ich, insofern sie als sich gegenseitig bestimmend gesetzt sind) aufsuchen; und dies geschieht durch Reflexion, die eine willkürliche Handlung unseres Geistes ist. –

Aufsuchen, sagte ich; es wird demnach vorausgesetzt, dass sie schon vorhanden sind, und nicht etwa  / durch unsere Reflexion erst gemacht und erkünstelt werden (welches überhaupt die Reflexion gar nicht vermag), d.h. es wird eine ursprünglich nothwendige antithetische Handlung des Ich vorausgesetzt. 

Die Reflexion hat diese antithetische Handlung aufzustellen: und sie ist insofern zuvörderst analytisch. Nemlich entgegengesetzte Merkmale, die in einem bestimmten Begriffe = A enthalten sind, als entgegengesetzt durch Reflexion zum deutlichen Bewusstseyn erheben, heisst: den Begriff A analysiren.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123
f.





Das synthetische Verfahren. 
Gerd  / pixelio.de

Wir haben nun drei logische Grundsätze; den der Identität, welcher alle übrigen begründet; und dann die beiden, welche sich selbst gegenseitig in jenem begründen, den des Gegensetzens, und den des Grundes aufgestellt. Die beiden letzteren machen das synthetische Verfahren überhaupt erst möglich; stellen auf und begründen die Form desselben. Wir bedürfen demnach, um der formalen Gültigkeit unseres Verfahrens in der Reflexion sicher zu seyn, nichts weiter. – 

Ebenso ist in der ersten synthetischen Handlung, der Grundsynthesis (der des Ich und Nicht-Ich), ein Gehalt für alle mögliche künftige Synthesen aufgestellt, und wir bedürfen auch von dieser Seite nichts weiter. Aus jener Grundsynthesis muss alles sich entwickeln lassen, was in das Gebiet der Wissenschaftslehre gehören soll.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123





Das thetisch-antithetisch-synthetische Verfahren.
Alwin Gasser, pixelio.de

3) Die Handlung, da man im Verglichenen das Merkmal aufsucht, worin sie entgegengesetzt sind, heisst das antithetische Verfahren; gewöhnlich das analytische, welcher Ausdruck aber weniger bequem ist, theils weil er die Meinung übrig lässt, dass man etwa aus einem Begriffe etwas entwickeln könne, was man nicht erst durch eine Synthesis hineingelegt, theils weil durch die erste Benennung deutlicher bezeichnet / wird, dass dieses Verfahren das Gegentheil vom synthetischen sey. Das synthetische Verfahren nemlich besteht darin, dass man im Entgegengesetzten dasjenige Merkmal aufsuche, worin sie gleich sind. Der blossen logischen Form nach, welche von allem Inhalte der Erkenntniss, sowie von der Art, wie man dazu komme, völlig abstrahirt, heissen auf die erstere Art hervorgebrachte Urtheile, antithetische oder verneinende, auf die letztere Art hervorgebrachte synthetische oder bejahende Urtheile

4) Sind die logischen Regeln, unter denen alle Antithesis und Synthesis steht, von dem dritten Grundsatze der Wissenschaftslehre abgeleitet, so ist überhaupt die Befugniss aller Antithesis und Synthesis von ihm abgeleitet. Aber wir haben in der Darstellung jenes Grundsatzes gesehen, dass die ursprüngliche Handlung, die er ausdrückt, die des Verbindens Entgegengesetzter in einem Dritten, nicht möglich war ohne die Handlung des Entgegensetzens; und dass diese gleichfalls nicht möglich war, ohne die Handlung des Verbindens: dass also beide in der That unzertrennlich verbunden und nur in der Reflexion zu unterscheiden sind. Hieraus folgt; dass die logischen Handlungen, die auf jene ursprünglichen sich gründen, und eigentlich nur besondere, nähere Bestimmungen derselben sind, gleichfalls nicht, eine ohne die andere, möglich seyn werden. 

Keine Antithesis ist möglich ohne eine Synthesis; denn die Antithesis besteht ja darin, dass in Gleichen das entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird; aber die Gleichen wären nicht gleich, wenn sie nicht erst durch eine synthetische Handlung gleichgesetzt wären. In der blossen Antithesis wird davon abstrahirt, dass sie erst durch eine solche Handlung gleichgesetzt werden: sie werden schlechthin als gleich, ununtersucht woher, angenommen; bloss auf das entgegengesetzte in ihnen wird die Reflexion gerichtet, und dieses dadurch zum deutlichen und klaren Bewusstseyn erhoben. – 

So ist auch umgekehrt keine Synthesis möglich ohne eine Antithesis. Entgegengesetzte sollen vereiniget werden: sie wären aber nicht entgegengesetzt, wenn sie es nicht durch eine Handlung des /  Ich wären, von welcher in der Synthesis abstrahirt wird, um bloss den Beziehungsgrund durch Reflexion zum Bewusstseyn zu erheben. – Es giebt demnach überhaupt dem Gehalte nach gar keine bloss analytischen Urtheile; und man kömmt bloss durch sie nicht nur nicht weit, wie Kant sagt, sondern man kömmt gar nicht von der Stelle.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 112ff.




Genetisches Verfahren und dogmatische Begriffsdialektik.


1. Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben.

Nun ist das Nicht-Ich im Ich gesetzt: denn es ist entgegengesetzt; aber alles Entgegengesetzte setzt die Identität des Ich, in welchem gesetzt und den Gesetzten entgegengesetzt wird, voraus.

Mithin ist das Ich im Ich nicht gesetzt, isofern das Nicht-Ich darin gesetzt ist.

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Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Hamburg 1979, S. 26


[ad Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 26, N.1] Da nun Entgegengesetztes beisammen bestehen soll, so muss das Ich das Vermögen haben, Entgegengesetztes zusammen zu setzen in demselben Akt des Bewusst- seins, weil eins ohne das andere nicht möglich ist. Im Ich ist das Vermögen, synthetisch zu verfahren.

Synthesis soll heißen zusammensetzen; nun kann aber nur zusammengesetzt werden, was entgegengesetzt ist. Soll nun in einem Akt zusammengesetzt werden, so muss [das Ich] in einem Akte Entgegengesetztes, also ein Mannigfaltiges zu Stande bringen können; mithin muss ein solcher Akt einen Umfang haben. Dieser Umfang des Akts nun, in welchem Mannigfaltiges zusammengesetzt wird und wodurch es möglich wird, wird im Buch [Grundlage] genannt Quantitätsfähigkeit.

Im Bewusstsein dieses Handelns liegt das, wovon übergegangen wird; das, wozu übergegangen wird, und das Handeln selbst. Das Bewusstsein ist kein Akt, es ist ruhend, in ihm ist Mannigfaltigkeit, über welche das Be- wusstsein gleichsam hinüber geführt wird. Im Bewusstsein ist alles zugleich vereinigt und getrennt. Dies be- deutet die Schranken, Teilbarkeit, Quantitätsfähigkeit. [vgl. Grundlage, S. 29, N. 8]

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 48 


8. Etwas einschränken heißt: die Realität desselben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Teil aufheben. Mithin liegt im Begriff der Schranken, außer dem der Realität und der Negation, noch der der Teilbarkeit (der Quantitätsfähigkeit überhaupt, nicht eben eine bestimmtem Quantität). Diese Begriff ist das gesuchte X, und durch die Handlung Y wird demnach schlechthin das Ich sowohl als das Nicht-Ich [als] teilbar gesetzt.
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Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Hamburg 1979, S. 29



Nota. - Nichts ist "überhaupt" oder an sich gesetzt. Es ist gesetzt von einem für einen an einer Stelle: anders ist gesetzt sein ohne Bedeutung. Wenn also ich mich in mich hinein 'setze', kann ich in mich nicht zugleich ein Nich-Ich setzen, weil es mein Ich aufhöbe. Doch so soll - und muss, wenn ein Bewusstsein zustande kommen soll - es geschehen. Dem setzenden Ich muss also das Vermögen zugeschrieben werden, Entgegengesetzte in sich neben einander zu setzen, ohne dass sie sich aufheben: 'synthetisch'.

Hier wird der substanzielle Unterschied von Fichtes genetischem analytisch-synthetischen Verfahren zur Dog- matik der Hegel'schen Begriffslogik deutlich. Knüpfen wir die Begriffe mit logischer Folgerichtigkeit aneinan- der, dann entsteht ein Widerspruch. Das eine kann nicht bestehen, wenn das andere besteht. Logisch würden sie einander aufheben und es bliebe... nichts übrig. So soll es bei Hegel aber nicht sein. Sie heben einander 'auf' heißt: auf eine höhere Stufe. Es wird etwas Neues daraus von einer Höheren Qualität. Verstehe, wer kann, das ist mystisch, das ist Hokuspokus, das kann man allenfalls glauben; muss man aber nicht.

Die genetische Methode bedient sich nicht vorgegebener Begriffe, sondern bringt tätig Vorstellungen aus einan- der hervor. Ich stelle mir zwei Entgegengetzte vor; ich soll sie mir zugleich und an derselben Stelle vorstellen ('setzen'). Dann muss ich sie mir als bestimmte Mengen vorstellen, die nebeneinander im selben Raum Platz haben. 

Das wäre eine triviale Lösung, blieben sie auf diese Weise in meiner Vorstellung nicht einander immer noch auf engstem Raum entgegen gesetzt! Zur Ruhe können sie so nicht kommen, da muss ich mir eine Energie vorstellen - und dass sie mich zu weiterem Vorstellen antreibt.

Der Unterschied ist: Beim genetischen Verfahren Fichtes bleibt stets das vorstellende Ich tätig; während in der dogmatischen Dialektik das tätige Subjekt in den Begriffen begraben ist.
JE



Thesis und Halt.
Schlussstein, Walkenried

7) So wenig Antithesis ohne Synthesis, oder Synthesis ohne Antithesis möglich ist; ebenso wenig sind beide möglich ohne Thesis: ohne ein Setzen schlechthin, durch welches ein A (das Ich) keinem anderen gleich und keinem anderen entgegengesetzt, sondern bloss schlechthin gesetzt wird. 

Auf unser System bezogen giebt diese dem Ganzen Haltbarkeit und Vollendung; es muss ein System und Ein System seyn; das Entgegengesetzte muss verbunden werden, so lange noch etwas Entgegengesetztes ist; bis die absolute Einheit hervorgebracht sey; welche freilich, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird, nur durch eine geendete Annäherung, zum unendlichen hervorgebracht werden könnte, welche an sich unmöglich ist.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 115






Was heißt verstehen oder begreifen?


Zuvörderst - was heißt verstehen oder begreifen? Es heißt festsetzen, bestimmen, begrenzen. Ich habe eine Erscheinung begriffen, wenn ich ein vollständiges Ganzes der Erkenntnis dadurch erhalten habe, das allen seinen Teilen nach in sich begründet ist; wen jedes durch alles und alles durch jedes einzelne begründet oder erklärt wird. Dadurch erst ist es vollendet und begrenzt. 
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Grundlage des Naturrechts..., SW III, S. 77


 
Nota. - Das ist sein analytisch-synthetisches Verfahrendas Uhrwerk erst auseinandernehmen und dann nach dem eingesehenen Plan wieder zusammensetzen.
JE






Der Widerspruch wird nicht gelöst, sondern nur weiter hinausgesetzt. 
Gitti Moser  / pixelio.de

Diese Bemerkung zeigt uns von einer neuen Seite das Geschäft der Wissenschaftslehre. Sie wird immer fortfahren, Mittelglieder zwischen die Entgegengesetzten einzuschieben; dadurch aber wird der Widerspruch nicht vollkommen gelöst, sondern nur weiter hinausgesetzt. Wird zwischen die vereinigten Glieder, von denen sich bei näherer Untersuchung findet, dass sie dennoch nicht vollkommen vereinigt sind, ein neues Mittelglied eingeschoben, so fällt freilich der zuletzt aufgezeigte Widerspruch weg; aber um ihn zu lösen, musste man neue Endpuncte annehmen, welche abermals entgegengesetzt sind, und von neuem vereinigt werden müssen.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 143


 




Übergehen: eine tätige Dialektik.

andramedia

Das Mysterium der Hegel'schen Dialektik und damit seines ganzen Systems ist das Umschlagen des Begriffs in seinen Gegensatz. Wie es vor sich gehen soll, kann man sich nicht vorstellen, es wird nicht erläutert, es bleibt ein Mysterium, man muss daran glauben wie an die Dreifaltigkeit. Tatsächlich findet es bereits im Begriff selber statt: Er trägt seinen Gegensatz schon in sich. So wird es behauptet.

Bei Fichte schlagen keine Begriffe um, sondern eine Vorstellung geht über in eine andere. Nämlich so: Sie soll bestimmt werden, doch das geht nur durch Entgegensetzung. Es ist ein Subjekt, das bestimmen soll, es muss die Entgegensetzung selber vornehmen. Muss? Nein. Es geschieht aus Freiheit; es könnte das Bestimmen auch unterlassen, und seine Vorstellung blieben unbestimmt.

Ist nicht die Freiheit auch ein Mysterium? Ja, ausdrücklich: "Hier ist etwas Unbegreifliches; und es kann nicht anders sein, weil wir an der Grenze aller Begreiflichkeit, bei der Lehre von der Freiheit in Anwendung auf das empirische Subjekt, stehen. ... Denn ein Akt der Freiheit ist schlechthin, weil er ist, und ist ein absolut Erstes, das sich an nichts anderes anknüpfen und daraus erklären lässt. ... Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist also absolut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit."*

Es ist das Mysterium, das dem ganzen System zu Grunde liegt. Liegt es? Nein, es wurde gelegt – von dem Philoso-phen, er hat es als Erklärungsgrund (aus Freiheit!) gewählt. Er hat es nicht begründet, er kann es rechtfertigen nur durch die Ausführung des Systems. Er hätte ein anderes wählen können? Nur, wenn sich damit ein System rechtfertigen ließe.

Die Freiheit rechtfertigt das System vom Anfang bis... zum Schluss? Wenn die Freiheit zu einem Schluss käme, wäre sie keine. Wird sie als Freiheit gedacht, ist sie ohne Ende: Die Reflexion ist unendlich, so wurde sie zu An-fang aufgefasst. Soll ein Schluss dennoch für möglich gehalten werden, müsste eine zusätzliche Prämisse einge-führt werden. Aber dann läge sie dem System zu Grunde und nicht die Freiheit, und Fichte hätte nicht sagen dürfen, dass auf diese "mein ganzes Denken aufgebaut ist".

*) Fichte, Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 181f. 





Das Forstschreiten der Wissenschaftslehre durch Setzen und Entgegensetzen ist weder zufällig noch willkürlich, sondern gründet in der Sache selbst:


Die Eingangsfrage der Wissenschaftslehre ist die: Wie kommen wir zu der Annahme, dass unseren Vorstellungen etwas außer uns entspricht? Das ist der Terminus ad quem. Terminus a quo ist: Im Bewusstsein ist nichts als Vorstellungen, oder: Ins Ich kommt nichts, als was es in sich setzt. 

Dieses muss aus jenem hergeleitet, jenes muss auf dieses hingeführt werden. Der Gang ist durch beide entge- gengesetzte Prämissen vorgeschrieben, er ist lediglich aufzusuchen - allerdings nicht so, wie er aus Begriffen definiert,* sondern wie er in der Vorstellung wirklich hervorgebracht werden könnte.

*) Die Verwendung von Begriffen setzt ein System der Vorstellungen schon voraus; dessen Möglichkeit soll aber erst begründet werden.

Die Wissenschaftslehre ist die Synthese von zwei Gegen-Sätzen. Sie relativiert nicht die Realität, sondern rechtfertigt sie. Das allerdings ist nötig.






Nota.- Die obigen Fotos gehören mir nicht. Wenn nicht anders angezeigt, habe ich sie im Internet gefunden. Sollten Sie einer der Eigentümer sein und deren Verwendung sn dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Mitteilung auf diesem Blog.
JE
 

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